Zur psychischen Situation der aktuellen Studierendengeneration

09.12.2014

Sind Studierende heute zu wenig belastbar oder zu stark belastet?

Text: Arbeitskreis „Psychologische und Psychotherapeutische Beratung an Hochschulen“ unter der Leitung von Wilfried Schumann in Zusammenarbeit mit dem Vorstand der ´´´GIBeT; 09.12.2014

Die öffentliche Debatte um die psychische Verfassung von Studierenden ist durchaus kontrovers: einerseits wird davor gewarnt, dass eine ganze Generation junger Menschen durch Überforderung und nicht einlösbare Erwartungen in Stresssymptome und Burnout getrieben wird, so dass „Studenten am Rande des Nervenzusammenbruchs“[1] gesehen werden. Andererseits existiert auch die Anschauung, die heutigen Studierenden seien „erschöpft vom Bummeln“[2] und ließen es an Belastbarkeit mangeln.

Beide Positionen haben zwar empirische Anhaltspunkte, werden aber in ihrer je einseitigen Sicht der Dinge der Vielschichtigkeit der studentischen Lebenswelt nicht gerecht. Aus Sicht der in der ´´´GIBeT organisierten psychologischen BeraterInnen an Hochschulen gibt es jedoch durchaus eine Reihe von Belegen, die nahe legen, dass Studierende heute aufgrund aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen und Veränderungen im Hochschulbereich spezifischen Risikofaktoren für ihre seelische Gesundheit ausgesetzt sind:

  • Der Leistungsdruck an den Hochschulen ist mit der Umstellung auf das Bachelor/Master-System gestiegen. In vielen Studiengängen an vielen Hochschulen wurden Lehrinhalte eines vormals neun-semestrigen Studiums inhaltlich und zeitlich auf ein sechs-semestriges Bachelor-Studium verdichtet; dies ging darüber hinaus häufig einher mit einer stärkeren Akzentuierung auf Prüfungen und der Vervielfachung von Leistungsnachweisen.
  • Durch die z.T. gesetzliche Regelung von Übergangsquoten vom Bachelor in den Master konkurrieren Studierende massiv miteinander um Masterplätze und berufliche Anschlussoptionen.
  • Viele Studierende kommen mit hohen verinnerlichten Leistungserwartungen an die Hochschule und setzen sich damit zusätzlich unter Druck. Sie gehen davon aus, dass spätere berufliche Chancen davon abhängen, dass sie ihr Studium schnell und möglichst zielstrebig und geradlinig absolvieren. Sie gestehen sich kaum Toleranz für Eingewöhnungsschwierigkeiten, Misserfolge und Umwege zu. Der Raum für die in dieser Altersphase notwendigen Prozesse der Persönlichkeitsentwicklung ist extrem eingeengt.
  • Die Studienstrukturen sind stark ausgerichtet auf Studierende, die ihr gesamtes Zeitpensum für das Studium aufwenden und unter optimalen materiellen und persönlichen Rahmenbedingungen am Studienerfolg arbeiten können. Wer hingegen unter besonderen Bedingungen studiert, wie z.B. Studierende, die phasenweise durch Krankheit eingeschränkt sind, Studierende mit Familienaufgaben oder Studierende, die nebenher Erwerbsarbeit leisten müssen, hat oft Probleme, etwaige Nachteilsausgleiche wahrzunehmen, da es in vielen Fällen an einschlägigen Beratungsangeboten mangelt..

Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von empirischen Untersuchungen, die deutlich machen, wie stark Studierende sich derzeit psychisch belastet sehen:

In einer 2013 veröffentlichten Studie[3] zu Schwierigkeiten und Problemlagen von Bachelor-Studierenden gaben 59% der Befragten an, sie hätten sich in den vergangenen Wochen nervös und gestresst gefühlt. Ähnliche Ergebnisse finden sich in einer vom Bundesministerium für Gesundheit in Auftrag gegebenen Untersuchung[4]. Hier antworteten 79% der Studierenden, dass sie sich im Studium einem erheblichen Leistungsdruck ausgesetzt sehen. Auch die Krankenkassen kommen in Ihren Gesundheitsberichten zu alarmierenden Befunden. Eine von der Techniker Krankenkasse bei Studierenden in Nordrhein-Westfalen durchgeführte Untersuchung[5] listet die von stark stressbelasteten Studierenden angegebenen Stressursachen auf. Am häufigsten genannt werden Zeitdruck/Hektik (55%) und Prüfungsstress (64%). Insgesamt weisen die empirischen Daten darauf hin, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Studierenden sich durch das Studium so stark belastet empfindet, dass ihre Lebensqualität gemindert ist oder dass sogar gesundheitliche und psychische Beeinträchtigungen festzustellen sind.

Eine Konsequenz der hier skizzierten Entwicklungen ist eine erhöhte Nachfrage nach Beratungsleistungen, mit der sich die psychologischen Beratungseinrichtungen an den deutschen Hochschulen in den letzten Jahren konfrontiert sehen. Das Deutsche Studentenwerk als Dachverband der regionalen Studentenwerke, die in der überwiegenden Zahl der Fälle Betreiber der psychologischen Beratungsdienste sind, hat in diesem Kontext mehrfach darauf hingewiesen, dass ein Ausbau der Beratungsangebote dringend notwendig erscheint.

Die ´´´GIBeT beobachtet mit Sorge, dass auf den gestiegenen Bedarf an psychologischer Beratung für Studierende bisher nicht adäquat reagiert worden ist.

Ein Studiensystem, das stark durch Leistungsanforderungen geprägt ist, muss gleichzeitig die Begleitung Studierender durch angemessene Betreuungs- und Beratungsstrukturen gewährleisten, damit im Sinne von Chancengleichheit auch diejenigen Studierenden, bei denen nicht immer alles ideal verläuft, ausreichende Unterstützung erfahren, um zum Studienerfolg zu gelangen und die dafür notwendigen persönlichen Kompetenzen zu erwerben. Ein Scheitern des Studiums erzeugt nicht nur volkswirtschaftliche Kosten, sondern ist auch für die individuelle Biografie häufig ein schwer zu kompensierender Rückschlag. Hier könnte in vielen Fällen eine schnell verfügbare niedrigschwellige psychologische Beratung Negativentwicklungen verhindern. Dafür sind insbesondere auch präventiv wirksame Angebote notwendig, die über das klassische Setting psychologischer Einzelberatung hinausgehen. Mithilfe von Coachings, Stressbewältigungskursen, Unterstützung bei der Studienorganisation und Prüfungsvorbereitung und mit Angeboten zu sozialen Kompetenzen und zur Persönlichkeitsentwicklung können Studierende in die Lage versetzt werden, den Anforderungen des Hochschulsystems besser gerecht zu werden.

Die ´´´GIBeT fordert deshalb Hochschulen, Studentenwerke und Wissenschaftsministerien auf, für eine angemessene Ausstattung der Hochschulen mit psychologischen Beratungsdiensten zu sorgen, um für Studierende die Rahmenbedingungen und Unterstützungsleistungen vorzuhalten, die heute in einer immer größeren Zahl von Fällen notwendig sind, damit ein Studium zum Erfolg geführt werden kann.

Quellen: